Steuerbefreiung von Bildungsleistungen: Neufassung ab 2025 führt zu Rechtsunsicherheiten

Bildungsleistungen sind unter bestimmten Voraussetzungen umsatzsteuerbefreit. Die entsprechende Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 21 UStG wurde im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2024 geändert, da die zuvor engere Regelung im deutschen Umsatzsteuerrecht EU-rechtswidrig war. Die Neuregelung ist jedoch mit erheblichen Rechtsunsicherheiten verbunden.
Nach § 4 Nr. 21 UStG n.F. sind Bildungsleistungen im außer(hoch)schulischen bzw. privatwirtschaftlichen Bereich ab 1.1.2025 steuerbefreit, „wenn die zuständige Landesbehörde der allgemeinbildenden oder berufsbildenden Einrichtung bescheinigt, dass sie Schulunterricht, Hochschulunterricht, Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung erbringt“. Nach dem neuen Gesetzeswortlaut ist es nicht mehr erforderlich, dass diese Einrichtungen auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten (siehe zuvor explizit § 4 Nr. 21 UStG a.F.).
Insbesondere für den außer(hoch)schulischen Bereich ergeben sich danach Änderungen. Unsicherheiten sind aufgekommen, da das landesbehördliche Bescheinigungsverfahren erst kurz vor Ende des Gesetzgebungsverfahrens (wieder) in die gesetzliche Regelung als Voraussetzung aufgenommen wurde.
Unklare Konsequenzen für Bildungsleistende
Für die von der Neuregelung Betroffenen ist zurzeit unklar, welche Konsequenzen sich ergeben, da die nach der Neuregelung doch weiter erforderlichen Bescheinigungen zum 1.1.2025 noch nicht vorlagen:
- Sind Bescheinigungen, die auf den alten Gesetzestext lauten, noch gültig?
- Besteht ggf. für die bescheinigungslose Zeit ein Recht auf Vorsteuerabzug?
- Kann evtl. Erstattungspotenzial aus der Vergangenheit über Vorsteuerberichtigungen realisiert werden?
- Verteuern sich die Bildungsleistungen um den Umsatzsteuerbetrag bzw. schmilzt die Marge, wenn diese an Endverbraucher erbracht werden?
Trotz Erleichterung durch BMF-Schreiben …
Zwar wurde seitens des BMF mit einem Schreiben vom 5.12.2024 reagiert und vorerst der Druck aus der Debatte genommen. Im Schreiben wird die Auffassung der Bundesregierung aus Sicht der Finanzverwaltung wiedergegeben, dass die Bescheinigungen alter Lesart weiter gültig sind. Zudem wurde die zeitnahe Veröffentlichung eines weiteren BMF-Schreibens zur neuen Befreiungsvorschrift in Aussicht gestellt.
Die Fortschreibung der Gültigkeit der Bescheinigungen zum alten Recht ist grundsätzlich begrüßenswert. Nachteilig ist, dass sowohl das aktuelle als auch das weitere, seit 17.1.2025 im Entwurf vorliegende BMF-Schreiben lediglich die Finanzverwaltung binden. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass ein Finanzrichter die Wirksamkeit von Bescheinigungen alten Rechts in der Zeit neuen Rechts ggf. anders beurteilt. Die Befassung eines Finanzrichters mit dieser Frage ist z.B. dann naheliegend, wenn gegen einen finanzamtsseitig getriebenen Antrag zuungunsten des betroffenen Unternehmens durch die Instanzen vorgegangen wird.
… bleiben herausfordernde Prüfungsaufgaben …
Selbst wenn einstweilen mit der Erleichterung aus dem genannten Schreiben vom 5.12.2024 gearbeitet wird, steht spätestens dann eine Neuausstellung an, wenn die zugrunde liegende Altbescheinigung befristet ist und die Frist abläuft: Fraglich ist ggf., ob die gesetzliche Neuregelung Auswirkungen auf die Erteilung der Neubescheinigungen haben wird. Dies erscheint nicht abwegig, da der Umstand, dass auf der Basis der landesbehördlichen Entscheidung (sog. Grundlagenbescheid) zwingend die umsatzsteuerlichen Konsequenzen zu ziehen sind, die zuständigen Beamten in die Bredouille bringen könnte. Denn deren Entscheidung über die Steuerbefreiung könnte mittelbar zu nicht vollständig abgeführter Umsatzsteuer führen, wenn die Entscheidung letzten Endes nicht in Einklang mit der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie steht:
- Entweder bleibt der Unternehmer Umsatzsteuer aufgrund unzutreffend abgezogener Vorsteuer schuldig, wenn die Landesbehörde die Bescheinigung nicht ausstellt, die Tätigkeit jedoch tatsächlich steuerbefreit ist.
- Oder er schuldet Umsatzsteuer ausgangsseitig, wenn entgegen der landesbehördlich ausgestellten Bescheinigung tatsächlich doch keine Steuerbefreiung vorliegt.
… für Landesbehörden
Infolge der neuen Gesetzesformulierung obliegt es – ausschließlich (!) – den Beamten im Rahmen der landesbehördlichen Prüfung, bei privatrechtlichen Bildungseinrichtungen zu entscheiden, ob diese „allgemeinbildend oder berufsbildend“ sind. Dabei haben sie einerseits gemäß der EuGH-Rechtsprechung darüber zu befinden, ob diese Einrichtungen Schul- oder Hochschulunterricht erbringen. Die Beamten haben also zu beurteilen, ob es sich um ein „integriertes System der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum an Stoffen … an Schüler und Studenten“ handelt. Oder aber es ist zu prüfen, ob die Tatbestände „Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung“ vorliegen, also „Schulungsmaßnahmen mit direktem Bezug zu einem Gewerbe oder einem Beruf“ bzw. „jegliche Schulungsmaßnahme, die dem Erwerb oder der Erhaltung beruflicher Kenntnisse dient“. Die Komplexität des Entscheidungsproblems nimmt weiter zu, wenn neue Rechtsprechung des BFH weitere Impulse für Entscheidungen der Landesbehörden liefert – wie etwa zuletzt mit der sog. „Flugunterricht“-Entscheidung (BFH vom 13.11.2024, Az.: XI R 31/22). Eine zutreffende Entscheidung setzt danach beispielsweise voraus, dass die Landesbehörde in der Lage ist zu beurteilen, ob die Erlangung der Privatpilotenlizenz eine Voraussetzung für die Verkehrspilotenlizenz ist.
Schließlich sei angemerkt, dass das Entwurfsschreiben vom 17.1.2025 wenig geeignet scheint, den Beamten als Entscheidungshilfe zu dienen. Der Entwurf gibt die Erkenntnisse aus der Rechtsprechung der letzten Jahre wieder, deren kasuistische Logik nicht so ohne Weiteres zugänglich und daher als Prüfungskriterium nur begrenzt umsetzbar ist. Verbleibt danach die Anforderung, z.B. entscheiden zu können,
- dass Kurse zu Sofortmaßnahmen am Unfallort steuerfrei sind (da allgemeinbildend), Schwimmunterricht von Schwimmschulen jedoch nicht, oder
- dass Musikunterricht eines Dreijährigen generell steuerfrei ist (da vorbereitend auf eine Aufnahmeprüfung an einer (Fach-)Hochschule), Fahrunterricht in Fahrschulen jedoch nicht (obwohl die B-Lizenz Voraussetzung für die CE-Lizenz und die CE-Lizenz Teil der Berufskraftfahrer-Ausbildung ist),
erleichtert dies die Entscheidung des Beamten bei vergleichbaren Anträgen nicht.
Aufgrund des unmittelbaren Zusammenhangs zwischen landesbehördlicher Verantwortlichkeit und umsatzsteuerlichen Folgen sind Nichtentscheidungen, lange Entscheidungsprozesse o.Ä. nicht unwahrscheinlich, da die betroffenen Behörden und Beamten bekanntermaßen (und hier auch nachvollziehbarerweise) eher vorsichtig agieren, wenn ihre Tätigkeit die dargestellten Auswirkungen haben kann. Das gilt unabhängig davon, ob der Unternehmer oder die Finanzverwaltung den Antrag auf Erteilung einer Bescheinigung stellt.