Wohnsitzverlagerung ins Ausland: Steuerliche Risiken und Vermeidungsstrategien
Teil I: Praxisfall zur Entstehung existenzgefährdender Steuerbelastungen

Gesellschafter von Kapitalgesellschaften, die ihren Wohnsitz ins Ausland verlegen, haben oft das Risiko einer enormen Steuerbelastung durch die sog. Wegzugsbesteuerung. In dieser Ausgabe skizzieren wir anhand eines Praxisfalls, wie und in welchem Ausmaß steuerliche Belastungen drohen. In Teil II sollen dann Strategien zur Steuervermeidung vorgestellt werden.
Praxisfall: Nach GmbH-Gründung Wohnsitzverlegung auf Mallorca
Die ABC GmbH wurde vor vielen Jahren mit einem Stammkapital von 4 Mio. € gegründet. Agio und weitere Zuzahlungen in das Kapital sind nicht erfolgt. Die Gewinnrücklagen betragen 40 Mio. €. Herr A ist mit 25% beteiligt und hält die Anteile im Privatvermögen. Weitere Gesellschafter sind Frau B mit 25% und Herr C mit 50%. Der Unternehmenswert beträgt 100 Mio. €.
Herr A hat im Urlaub auf Mallorca eine Spanierin kennengelernt. Da seine beiden Kinder volljährig sind und eine eigene Familie haben, fasst A den Entschluss, dauerhaft nach Mallorca zu seiner neuen Lebensabschnittspartnerin zu ziehen.
Grundlagen der Wegzugsbesteuerung
Anwendung bei Familienunternehmen
Die Wegzugsbesteuerung ist eine steuerliche Regelung, die sicherstellt, dass Wertsteigerungen von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften im Privatvermögen auch dann in Deutschland besteuert werden, wenn der Wohnsitz ins Ausland verlegt wird und das Besteuerungsrecht Deutschlands endet.
In der Praxis zeigt sich das Problem der Wegzugsbesteuerung insbesondere bei Familienunternehmen, die in Form einer Kapitalgesellschaft, z.B. einer GmbH, organisiert sind und an denen mehrere Gesellschafter beteiligt sind. Sind diese Unternehmen profitabel und liegt der Unternehmenswert signifikant über den ursprünglichen Anschaffungskosten, können sich für die betroffenen Gesellschafter erhebliche und sogar existenzbedrohende steuerliche Konsequenzen ergeben.
Gewinne aus Anteilsveräußerung im Fokus der Finanzverwaltung
Im Fokus der Wegzugsbesteuerung stehen die Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften, die sich im Privatvermögen oder Betriebsvermögen einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft befinden. Die meisten Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) ordnen das Besteuerungsrecht an diesen Gewinnen dem Staat zu, in dem der betroffene Gesellschafter zum Zeitpunkt der Veräußerung ansässig ist (Art. 13 Abs. 5 des OECD-MA). Würde der Gesellschafter seine Kapitalanteile vor seinem Wegzug veräußern, also während einer unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland, wäre der Veräußerungsgewinn in Deutschland steuerpflichtig.
Die Wegzugsbesteuerung zielt darauf ab, stille Reserven zu besteuern. Es soll die Differenz zwischen den Anschaffungskosten und dem Marktwert von Kapitalbeteiligungen besteuert werden, solange Deutschland noch ein Besteuerungsrecht hat. Ziel der Regelung ist, einen Ausfall von Steuern für den deutschen Fiskus zu vermeiden, der durch die Verlagerung von Privatvermögen ins Ausland entsteht.
Gesetzliche Grundlage für Annahme einer fiktiven Veräußerung
Die Wegzugsbesteuerung wird in § 6 AStG geregelt. Betroffen sind natürliche Personen, die
- unmittelbar oder mittelbar mindestens 1% der Anteile an einer inländischen oder ausländischen Kapitalgesellschaft in ihrem Privatvermögen (§ 17 EStG) halten und
- ihren steuerlichen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt permanent ins Ausland verlegen und
- ihre unbeschränkte Steuerpflicht beenden.
Unbeschränkt steuerpflichtig sind alle natürlichen Personen, die in Deutschland einen Wohnsitz oder einen gewöhnlichen Aufenthalt haben.
Verliert Deutschland das Besteuerungsrecht, weil zukünftig ein anderer Staat das Besteuerungsrecht an dem Veräußerungsgewinn hat, wird eine fiktive Veräußerung der Kapitalgesellschaftsanteile fingiert. Besteuert wird die Differenz zwischen dem gemeinen Wert der Anteile zum Zeitpunkt des Wegzugs und den ursprünglichen Anschaffungskosten.
Der Veräußerungsgewinn unterliegt dem Teileinkünfteverfahren. Steuerpflichtig sind 60% des Veräußerungsgewinns. Zur Anwendung kommt der persönliche Einkommensteuersatz des Gesellschafters mit bis zu 45% zzgl. Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer.
Berechnung der Steuerwirkungen im Praxisfall
Für den Unternehmer A könnten sich ohne eine Gestaltung zur Vermeidung der Wegzugsbesteuerung stark vereinfacht die nachfolgend berechneten steuerlichen Folgen ergeben. Dabei wird aus Vereinfachungsgründen eine möglicherweise zusätzlich anfallende Kirchensteuer nicht berücksichtigt.
Berechnung der Steuerhöhe
Der Anteilswert der Beteiligung des A beträgt 25 Mio. € (25% des Unternehmenswerts von 100 Mio. €). Die anteiligen Anschaffungskosten betragen 25% des Stammkapitals bzw. 1 Mio. €. Daraus ergibt sich ein fiktiver Veräußerungsgewinn von 24 Mio. €. Dieser Gewinn unterliegt dem Teileinkünfteverfahren, steuerpflichtig sind 60% bzw. 14,4 Mio. €.
Da A unverheiratet ist und sein laufendes Einkommen über 250 T€ liegt, kommt insoweit der Spitzensteuersatz von 45% plus Solidaritätszuschlag zur Anwendung.
Ergebnis: Aus der Multiplikation der Höhe des fiktiven Veräußerungsgewinns mit dem anzuwendenden Steuersatz errechnet sich eine Wegzugssteuer in Höhe von 6,8 Mio. € für A:
Fiktiver Veräußerungsgewinn 14,4 Mio. € x 47,475 % = 6,8 Mio. €.
Antrag auf Stundung
Die Steuerlast aus der Wegzugsbesteuerung ist zu entrichten, obwohl dem auswanderungswilligen A keine Liquidität aus einem Veräußerungserlös zufließt. Die festgesetzte Steuer kann auf Antrag in sieben gleichen Jahresraten entrichtet werden (§ 6 Abs. 4 AStG). Allerdings wird vom Steuerpflichtigen eine Sicherheitsleistung gefordert; im Beispiel hätte A also pro Jahr knapp 1 Mio. € zu bezahlen. Da dieser zwar immer gut verdient, jedoch auch einen aufwändigen Lebensstil gepflegt hat, kann er diese Steuerzahlungen ohne Gewinnausschüttungen der ABC GmbH nicht aufbringen.
Bedarf an hohen Gewinnausschüttungen
Weil die ABC GmbH die Gewinne regelmäßig thesauriert hat, könnten Ausschüttungen erfolgen, damit A seine Jahresraten begleichen kann. Die Ausschüttungen werden regelmäßig quotal (s.o. Abschn. 1) erfolgen, sind zu 60% steuerpflichtig und mit dem persönlichen Steuersatz zu versteuern.
Beispielberechnung: Damit A nach Steuern 1 Mio. € p.a. für die Ratenzahlung zur Verfügung hat, benötigt er eine Bruttodividende von ca. 1,4 Mio. € p.a. Bei einem Anteil von 25% müsste die ABC-GmbH jährlich quotal 5,6 Mio. € an alle drei Gesellschafter ausschütten. In sieben Jahren entspricht dies einer Liquiditätsbelastung für die ABC GmbH von 40 Mio. €. Damit würden die 40 Mio. € Gewinnrücklagen der ABC GmbH in voller Höhe für die Ausschüttungen verwendet werden.
Obgleich das Unternehmen über entsprechende Gewinnrücklagen verfügt, stellt sich die Frage, ob die Ausschüttungen auch liquiditätsmäßig finanziert werden können.
Das könnte Sie interessieren
