Der Entscheidung lag ein Erbfall zugrunde, bei dem der Erblasser in seiner letzten Ehe kinderlos war. Nach seinem Tod beantragte die Ehefrau einen Erbschein aufgrund der gesetzlichen Erbfolge. Das Nachlassgericht erteilte den Erbschein, der die Ehefrau und die Mutter des Erblassers als Erben auswies. Zwei Monate später öffneten die Ehefrau und die Mutter des Verstorbenen dessen Schließfach. Dort fanden sie ein handschriftliches Testament, das einen Dritten begünstigte. Es war jedoch in der Mitte zerrissen. Der Antrag des Dritten, den bereits erteilten Erbschein aufgrund des nunmehr aufgefundenen, zerrissenen Testaments einzuziehen, war erfolglos.
Das OLG Frankfurt a.M. entschied, dass der Erblasser durch das Zerreißen des Testaments in der Mitte dieses wirksam vernichtet hatte. Nach Ansicht des OLG war davon auszugehen, dass der Erblasser das Testament selbst zerrissen hat, da nur er Zugang zum Bankschließfach hatte. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass das Testament versehentlich von einer dritten Person zerrissen wurde. Das Zerreißen des Testaments stelle daher eine Widerrufshandlung des Erblassers im Sinne des § 2253 BGB dar. So werde nach § 2255 S. 2 BGB gesetzlich vermutet, dass dieser Widerrufshandlung auch eine entsprechende Widerrufsabsicht zugrunde lag. Indizien, die diese Vermutung widerlegen könnten, seien nicht erkennbar. Warum der Erblasser das zerstörte Testament im Schließfach aufbewahrte, blieb aus Sicht des Gerichts zwar unklar, aber eine fehlende Offenbarung der Gründe gegenüber Dritten berge keine Indizien gegen die Widerrufsabsicht des Erblassers. Mangels anderweitiger letztwilliger Verfügung des Erblassers sei somit die gesetzliche Erbfolge maßgeblich.
Zur Einordnung dieser Entscheidung ist es wesentlich, die Testierfreiheit des Erblassers näher zu betrachten. Jede Person kann das eigene Vermögen durch Verfügung von Todes wegen (mittels Testament oder Erbvertrag) an ein oder mehrere Erben und Erbinnen übertragen. Die Testierfreiheit bedeutet gleichzeitig, dass der Erblasser aber auch in gewissem Umfang von seinen Verfügungen von Todes wegen wieder Abstand nehmen kann. So kann ein Testament jederzeit nach § 2253 BGB widerrufen werden. Möglich ist der Widerruf durch ein reines Widerrufstestament (§ 2254), durch Vernichtung oder Veränderung der Testamentsurkunde (§ 2255), durch Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung (§ 2256) und durch ein inhaltlich widersprechendes Testament (§ 2258). Wird eine spätere letztwillige Verfügung wirksam widerrufen, so lebt gemäß § 2258 Abs. 2 BGB grundsätzlich eine frühere Verfügung wieder so auf, als wäre sie nicht aufgehoben worden. Dies gilt jedoch nur, sofern der Erblasser nicht ausdrücklich eine anderweitige Regelung getroffen hat.
Anderseits gibt es aber für wechselseitige Verfügungen (bspw. bei einem gemeinschaftlichen Testament oder einem Erbvertrag) Hemmnisse in Bezug auf die Wiedererlangung der Testierfreiheit. Dies entspricht auch dem Zweck von gemeinschaftlichen letztwilligen Verfügungen. Hierbei möchten (häufig Eheleute) eine Bindung des jeweils anderen an die wechselseitige letztwillige Verfügung erreichen. Daher können wechselseitige Verfügungen auch nicht einseitig i.S.d. § 2255 BGB widerrufen werden. Die Wiederherstellung der Testierfreiheit ist nur in bestimmten Fällen wie bei Rücktrittsvorbehalten nach § 2298 Abs. 2 BGB oder einer Anfechtung nach §§ 2078, 2079, 2281 BGB möglich.
Die Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. verdeutlicht, dass das Zerreißen eines Testaments durch eine erblassende Person als eindeutige Widerrufshandlung gilt. Sie bietet Anlass, sich über die eigene Nachfolgeplanung, einschließlich eventueller Änderungshandlungen, Gedanken zu machen. Bedacht werden sollte zudem, wie sichergestellt werden kann, dass die Hinterbliebenen Kenntnis über die tatsächlich von der erblassenden Person gewollte Erbfolge und relevante Dokumente erlangen können.
Über die Autorin: Ruth Greve ist Rechtsanwältin bei der PKF FASSELT Partnerschaft mbB Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Steuerberatungsgesellschaft Rechtsanwälte (Mitgliedsunternehmen des PKF-Netzwerkes).