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Blogbeitrag
01.10.2025

Der BFH hatte sich einmal mehr mit der Frage auseinanderzusetzen, ob bei Leistungen aus dem sog. Persönlichen Budget eine Umsatzsteuerfreiheit in Betracht kommt.

Bereits im Jahr 2024 hatte der BFH entschieden, dass auch Leistungen, die ein Betroffener aus seinem Persönlichen Budget bestreitet, umsatzsteuerfrei sein können, wenn die Bewilligung dieser Leistungen des betreffenden Anbieters eine explizite Entscheidung des Kostenträgers für den Anbieter darstellt und er damit den Anbieter als Einrichtung i.S.d. Umsatzsteuerbefreiung des § 4 Nr. 16 S. 1 lit. l UStG a.F. anerkennt (BFH-Urteil v. 19.12.2024, V R 1/22). Damit erteilte der BFH der bisherigen herrschenden Meinung, die eine Steuerfreiheit für durch das Persönliche Budget bezahlte Leistungen abgelehnt hatte, eine klare Absage. Diese Rechtsauffassung hat der BFH in seiner jüngst veröffentlichten Entscheidung vom 30.04.2025 (XI R 25/24) bestätigt und konkretisiert.

Hintergrund: Was ist das Persönliche Budget?

Menschen mit Behinderungen haben in Deutschland Anspruch auf Leistungen, die ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen, z.B. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Statt ausschließlich Sachleistungen (z. B. Pflege durch einen bestimmten Dienst) können die Betroffenen auch ein sogenanntes Persönliches Budget vom Leistungsträger erhalten. Dies ist regelmäßig eine monatliche Geldleistung, mit der die Betroffenen selbst die Anbieter für die von ihnen in Anspruch genommenen Betreuungsleistungen bezahlen. Die Auszahlung des Persönlichen Budgets an den Betroffenen tritt an die Stelle der Zahlungen, die der Träger ansonsten direkt an den Anbieter leisten würde. Die eigenständige Verwaltung des Budgets durch die Betroffenen soll die Selbstbestimmung behinderter Menschen stärken. 

Voraussetzung für die Gewährung eines solchen Persönlichen Budgets ist der Abschluss einer Zielvereinbarung zwischen Sozialversicherungsträger und Betroffenem, in der die Höhe des Budgets sowie die Ziele festgehalten werden, die mit den durch das Persönliche Budget finanzierten Leistungen erreicht werden sollen. Insoweit kann auch festgelegt werden, welche Leistungen mit dem Persönlichen Budget bezahlt werden sollen und welcher Anbieter mit der Leistungserbringung konkret zu beauftragen ist. Zudem wird vereinbart, wie die Verwendung des Persönlichen Budgets vom Betroffenen nachgewiesen werden muss. 

Der Streitfall

Eine gemeinnützige GmbH übernahm die Betreuung von Menschen mit Behinderung. Diese Menschen erhielten von ihrem zuständigen Kostenträger (z. B. Pflegekasse, Sozialamt) ein Persönliches Budget.

In den Zielvereinbarungen der Betroffenen war die GmbH als Leistungserbringerin ausdrücklich benannt. Außerdem wurde in den Gesamtplänen des Kostenträgers (die den Teilhabeprozess dokumentieren) ebenfalls auf die GmbH als Leistungserbringerin Bezug genommen.

Die GmbH stellte ihre Leistungen, die die Betroffenen aus ihrem Persönlichen Budget bezahlten, den Betroffenen ohne Umsatzsteuerausweis in Rechnung. In Rücksprache mit dem zuständigen Finanzamt erklärte die GmbH die entsprechenden Umsätze in ihrer Umsatzsteuererklärung 2020 dann jedoch als umsatzsteuerpflichtig und machte zudem Vorsteuer aus Eingangsleistungen geltend. Gleichzeitig reichte sie Sprungklage beim zuständigen Finanzgericht ein, um die umsatzsteuerliche Behandlung unmittelbar gerichtlich klären zu lassen.

Das Finanzgericht Hessen (Urteil vom 11.06.2024 – 6 K 448/21) wies die Klage ab und bejahte die Umsatzsteuerpflicht der von der GmbH erbrachten Leistungen. Die GmbH zog vor den BFH.

Das Urteil des BFH

Der BFH (XI R 25/24 vom 30.04.2025) hob die Entscheidung der Vorinstanz auf und gab der GmbH recht.

Grundsatz der Umsatzsteuerbefreiung

Nach § 4 Nr. 16 S. 1 lit. l UStG a.F. (nun unter Verzicht auf die Anknüpfung an das vorangegangene Kalenderjahr: § 4 Nr. 16 S. 1 lit. n UStG n.F.) sind bestimmte Pflege- und Betreuungsleistungen steuerfrei, wenn sie von Einrichtungen erbracht werden, bei denen [im vorangegangenen Kalenderjahr] die Betreuungs- und Pflegekosten in mindestens 25 % der Fälle von Sozialleistungsträgern übernommen werden. Damit will der Gesetzgeber sicherstellen, dass Leistungen mit sozialem Charakter nicht durch Umsatzsteuer verteuert werden.

Das Problem

Regelmäßig werden Betreuungs-/Unterstützungsleistungen, die Menschen mit Behinderungen in Anspruch nehmen, direkt durch den Kostenträger (z.B. Pflege- oder Sozialkasse) an den Anbieter der Leistungen vergütet (z. B. an Pflegedienste). Beim Persönlichen Budget fließt das Geld hingegen zunächst an die Betroffenen, die dann selbst die Rechnungen des Anbieters begleichen. Auf den ersten Blick bedeutet das: Die Zahlungen stammen nicht „von den Sozialleistungsträgern“, sondern von Privatpersonen – also wäre eine Steuerbefreiung ausgeschlossen (so im Ergebnis auch Abschn. 4.16.3. Abs. 2 UStAE).

Lösung des BFH

Der BFH trat dieser Auffassung bereits in seinem Urteil aus Dezember 2024 entgegen. Auch in der vorliegenden Entscheidung urteilte er entsprechend:

  • Grundsätzlich stehe die Steuerbefreiung nach deutschem Umsatzsteuergesetz im Einklang mit den Vorgaben der EU-Mehrwertsteuersystemrichtlinie. Eine Ausnahme bilde insoweit nur die Anknüpfung an das vorangegangene Kalenderjahr, was in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie so nicht vorgesehen sei (Hinweis: In der Neufassung der Steuerbefreiung des § 4 Nr. 16 S. 1 lit. n) UStG ist diese Anknüpfung nicht mehr enthalten).
  • Für die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 S. 1 lit. l) UStG a.F. komme es darauf an, dass der Anbieter der Unterstützungsleistung vom Staat als eine Einrichtung i.S.d. Umsatzsteuerbefreiung anerkannt wurde. Nur eine solche Einrichtung käme in den Genuss der Umsatzsteuerbefreiung. Eine Gleichbehandlung von anerkannten und nicht anerkannten Einrichtungen sei mit Blick auf die Umsatzsteuerbefreiung weder nach dem Grundgesetz noch nach EU-Recht geboten.
  • Für eine solche Anerkennung der Einrichtung sei es jedoch grundsätzlich nicht ausreichend, dass der Leistungsträger die Unterstützungsleistung über die Bewilligung des Persönlichen Budges gegenüber dem Betroffenen mittelbar bezahlt habe.
  • Allerdings käme eine mittelbare Anerkennung der Einrichtung und damit eine Umsatzsteuerfreiheit in Betracht, wenn „eine explizite Entscheidung des das Budget gewährenden Trägers“ vorliege.

Für den vorliegenden Fall wies der BFH darauf hin, dass eine solche mittelbare Anerkennung gegeben sei, denn 

  • in der zwischen den Betroffenen und dem Sozialversicherungsträger seien Zielvereinbarungen getroffen worden, in denen die GmbH namentlich als Erbringer der Unterstützungsleistungen genannt wurde.
  • auch in dem Gesamtplan des Trägers sei die GmbH namentlich erwähnt.

Insoweit sei die GmbH als Einrichtung i.S.d. § 4 Nr. 16 S. 1 lit. l UStG a.F. durch den Sozialversicherungsträger (mittelbar) anerkannt worden. 

Fazit

Die Leistungen eines Anbieters von Unterstützungsleistungen können auch dann als umsatzsteuerfreie Leistung angesehen werden, wenn die Zahlung an diesen nicht durch den Sozialversicherungsträger selbst, sondern durch den Betroffenen unter Nutzung seines Persönlichen Budgets erfolgt. Voraussetzung ist jedoch, dass der Anbieter als Einrichtung im Sinne der Steuerbefreiung von staatlicher Seite anerkannt wird. Eine solche Anerkennung kann entweder erfolgen, wenn der Anbieter direkt vom Sozialversicherungsträger bezahlt wird (unmittelbare Anerkennung) oder wenn die Zahlung im Rahmen des Persönlichen Budgets erfolgt, in der Zielvereinbarung aber festgeschrieben wird, dass die Leistung durch den betreffenden Anbieter erbracht werden soll (mittelbare Anerkennung). Entscheidend ist, dass der Kostenträger bewusst diese konkrete Einrichtung akzeptiert hat und die Mittel für genau deren Leistungen bewilligt.

Soweit die Einrichtung, sei es unmittelbar oder mittelbar, anerkannt werde, müssen auch die Zahlungen aus dem Persönlichen Budget bei der Berechnung der Mindestquote nach § 4 Nr. 16 S. 1 lit. l UStG a.F. bzw. § 4 Nr. 16 S. 1 lit. n UStG n.F. berücksichtigt werden.

Bedeutung für die Praxis

Für Einrichtungen im karitativen Bereich ist dieses Urteil (und auch das Urteil aus 2024) von großer Relevanz: Nach den Ausführungen des BFH ist davon auszugehen, dass über die Ausgestaltung der Zielvereinbarung zwischen Betroffenem und Sozialversicherungsträger die Umsatzbesteuerung „gesteuert“ werden kann. Wird das Persönliche Budget dem Betroffenen relativ frei gewährt, ohne dass in der Zielvereinbarung genau beschrieben wird, welche konkreten Leistungen von welchem Anbieter bezogen werden sollen, so spricht nach dem Urteil Vieles dafür, dass der Anbieter nicht als steuerbegünstigte Einrichtung anerkannt gilt. Zahlungen aus dem Persönlichen Budget des Betroffenen sind dann auch nicht in die Mindestquote von 25% einzubeziehen, was ggf. dazu führen könnte, dass die Einrichtung die Umsatzsteuerbefreiung verliert, wenn sie nicht mit Blick auf andere Leistungen direkte Zahlungen vom Sozialversicherungsträger erhält.

Soweit der Anbieter von Betreuungs- und Pflegeleistungen die Steuerbefreiung in Anspruch nehmen möchte, ist daher darauf zu achten, dass, soweit die Leistungen des Anbieters über das Persönliche Budget des Betroffenen bezahlt werden, die Zielvereinbarungen und der Gesamtplan des Sozialversicherungsträgers die über das Budget finanzierten Leistungen genau beschreiben und der konkrete Anbieter dieser Leistungen darin explizit benannt wird.

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