Erscheinungsdatum 07.05.2023
von WP/StB Dr. Dietrich Jacobs

Gleich zwei neue Judikate zur umsatzsteuerlichen Organschaft innerhalb kurzer Zeit: Einerseits hat der BFH die Kriterien geändert, unter denen er eine finanzielle Eingliederung annimmt. Andererseits legt der BFH dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob Umsätze zwischen den Teilen einer USt-Organschaft (Innenumsätze) tatsächlich nicht der Umsatzsteuer unterliegen.

Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Organschaft

Eine umsatzsteuerliche Organschaft setzt eine nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse bestehende finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung einer Untergesellschaft (Organgesellschaft) in das Unternehmen einer beherrschenden, wirtschaftlich tätigen Person (Organträger) voraus. 

Besteht eine Organschaft, schuldet der Organträger die Umsatzsteuer für die Umsätze der Organgesellschaft. Zudem unterliegen zumindest nach der bisherigen deutschen Gesetzeslage die Entgelte, die im Rahmen eines Leistungsaustausches zwischen den Mitgliedern der Organschaft gezahlt werden, nicht der Umsatzsteuer; diese Mitglieder werden als Teile eines einheitlichen Unternehmens angesehen.

Neue Sichtweise zur finanziellen Eingliederung

Die finanzielle Eingliederung setzte nach bisheriger Auffassung der deutschen Rechtsprechung und Finanzverwaltung voraus, dass einer unternehmerisch tätigen Person die Mehrheit der Stimmrechte an einer Untergesellschaft zusteht. Mit Urteil vom 18.1.2023 (Az.: XI R 29/22) nimmt der BFH nunmehr eine finanzielle Eingliederung auch an, wenn die unternehmerisch tätige Person zwar nur über 50% der Stimmrechte an einer Untergesellschaft verfügt, die Willensdurchsetzung aber durch eine kapitalmäßige Mehrheitsbeteiligung sowie dadurch gesichert ist, dass die erwähnte Person den einzigen Geschäftsführer der Untergesellschaft stellt. Diese Anpassung beruht auf einer Vorabentscheidung des EuGH (vom 1.12.2022, Az.: C-269/20), wonach als Voraussetzung für den oben erwähnten Übergang der Steuerschuldnerschaft auf den Organträger nicht explizit von einer Stimmrechtsmehrheit, sondern von 

  • der Notwendigkeit enger finanzieller, wirtschaftlicher und organisatorischer Beziehungen,
  • der Vermeidung von Steuerverlusten sowie
  • einer Willensdurchsetzung bei der Untergesellschaft ausgegangen wird.

Eventuell doch Umsatzsteuer auf Innenumsätze?

In seiner o.g. Vorabentscheidung hatte der EuGH betont, dass eine umsatzsteuerliche Organschaft nicht zur Gefahr von Steuerverlusten führen darf. Zwar haftet eine Organgesellschaft für die Umsatzsteuer des Organträgers, allerdings befürchtet das oberste deutsche Steuergericht Umsatzsteuerverluste infolge von Organschaften auf andere Weise: Ist eine Person z.B. im Bereich der Banken/Versicherungen, des Gesundheits-/Sozialwesens, des Bildungsbereichs oder als Vermieter von Wohnungen tätig und erbringt sie dabei umsatzsteuerfreie Umsätze ohne (vollen) Vorsteuerabzug, führt für diese Person der Bezug von Vorleistungen von einer Organgesellschaft ggf. zu günstigeren umsatzsteuerlichen Konsequenzen als der Bezug der entsprechenden Vorleistungen von einer Gesellschaft, welche nicht als Organgesellschaft angesehen wird. Vor diesem Hintergrund fragt der BFH beim EuGH an, 

  • ob Innenumsätze innerhalb einer Organschaft tatsächlich umsatzsteuerlich unbeachtlich sind oder
  • ob nicht wenigstens dann etwas Anderes gilt, wenn der Leistungsempfänger nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist (Beschluss vom 26.1.2023, Az.: V R 20/22).

Hinweis: Eine Entscheidung des EuGH, nach welcher die deutsche Gesetzeslage nicht in Übereinstimmung mit dem EU-Recht steht, könnte im Einzelfall erhebliche Auswirkungen auf die Fälle eines fehlenden (vollen) Vorsteuerabzugs beim organschaftlich verbundenen Leistungsempfänger haben und Gestaltungspotential eröffnen. 

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